Die Bauverordnung (BauV) des Kantons Aargau wurde per 1. November 2021 in zahlreichen Punkten angepasst und ergänzt. Dabei wurden diverse Bestimmungen aus der bisherigen Muster-BNO des Kantons neu in der BauV verankert, was die kommunalen Bauordnungen entlastet. Wir erläutern Ihnen die Bestimmungen, welche neu nicht mehr in den kommunalen Bau- und Nutzungsordnungen geregelt werden müssen.
Der Regierungsrat hat für die Übernahme von Begriffsdefinitionen aus der Muster-BNO zwei neue Titel geschaffen: «2bis Definitionen» und «2ter Einordnung von Bauten und Anlagen (§ 42 BauG)». § 15b BauV behandelt den Begriff «Wohnanteil», § 15c BauV definiert «Störende Betriebe», § 15d BauV behandelt neu die «Verkaufsfläche» und § 15e legt «Allgemeine Anforderungen» an die Einordnung von Gebäuden und Aussenräumen in die Umgebung fest.
Wohnanteil
Viele Gemeinden legen in ihren Bau- und Nutzungsordnung für gemischte Zonen (minimale) Wohnanteile fest. Uneinheitlich war bislang, wie sich der Wohnanteil berechnet. § 15b BauV bestimmt nun, dass der Wohnanteil das Verhältnis der Summe der anrechenbaren Geschossfläche für Wohnzwecke zur Gesamtsumme der anrechenbaren Geschossflächen nach § 32 Abs. 2 BauV ist. Bei einer anrechenbaren Geschossfläche von insgesamt 600 m2 und einem Wohnanteil von 0.5 muss die anrechenbare Geschossfläche für Wohnzwecke damit 300 m2 betragen.
Wichtig ist, dass § 32 Abs. 3 BauV bei der Ermittlung der Flächen nicht anwendbar ist. Das bedeutet, dass kommunale Nutzungsvorschriften, die die Anrechenbarkeit bspw. des Dach-, Attika- oder Untergeschosses abweichend regeln, nicht berücksichtigt werden dürfen. Der Wohnanteil berechnet sich also ohne eine im kommunalen Recht vorgesehene Privilegierung von anrechenbaren Flächen. Auch wenn die Flächen für die Ermittlung der Ausnützungsziffer irrelevant sind, müssen sie bei der Berechnung des Wohnanteils berücksichtigt werden.
Störende Betriebe
Insbesondere für Arbeitszonen und gemischte Zonen, welche Wohnen und Gewerbe zulassen, bestimmen die Gemeinden das zulässige Störmass in ihren Bau- und Nutzungsordnungen. Ist in einer Zone bspw. lediglich mässig störendes Gewerbe zulässig, umschrieben die Gemeinden bis anhin die zulässigen Nutzungen hinsichtlich Auswirkungen, Arbeits- oder Öffnungszeiten und Verkehr.
§ 15c BauV definiert nun einheitlich die Begriffe «nicht störend», «mässig störend» und «stark störend». Als «nicht störend» gelten in Wohnquartiere passende Kleinbetriebe mit geringem Zubringerverkehr. «Mässig störende» Betriebe weisen Auswirkungen auf, die im Rahmen herkömmlicher Handwerks-, Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe bleiben und auf die üblichen Arbeits- und Öffnungszeiten beschränkt sind. Als «stark störend» schliesslich gelten insbesondere Betriebe, die ein hohes Mass an quartierüblichem Verkehr verursachen.
Die Gemeinden müssen das Störmass in ihren Baureglementen nicht mehr eigens regeln. Sie dürfen keine Vorschriften mehr erlassen, die von der kantonalen Definition abweichen. Es steht ihnen jedoch weiterhin zu, bei der Interpretation von nicht, mässig und stark störend die lokalen Gegebenheiten mitzuberücksichtigen (Quartierüblichkeit).
Verkaufsfläche
Bei der Verkaufsfläche (Nettoladenfläche) handelt es sich laut § 15d BauV um die der Kundschaft zugängliche Fläche samt den Flächen für Gestelle, Auslagen und dergleichen. Nicht dazu gehören Sanitärräume, Flächen für die Verkehrserschliessung und dergleichen. Die Ermittlung der Verkaufsfläche ist relevant für die Frage, ob für einen Verkaufsladen eine besondere Grundlage in der kommunalen Nutzungsplanung oder gar im Richtplan geschaffen werden muss.
Die Definition ist angepasst an den Wortlaut der VSS-Norm 40 281 «Parkieren; Angebot an Parkfeldern für Personenwagen» vom 31. März 2019 (Ziff. 5.6). Der kantonale Richtplan spricht (noch) von «Nettoladenfläche (Richtplan, S. 3.1). Gemeint ist aber dasselbe.
Allgemeinde Anforderungen an die Einordung
§ 15e BauV legt neu die Kriterien für die Einordnung von Gebäuden und Aussenräumen in die Umgebung fest und entspricht der Definition der bisherigen Muster-BNO, wie sie von vielen Gemeinden übernommen worden ist.
Die Ortsbildverträglichkeit beurteilt sich nach folgenden Kriterien:
Fazit
Die Ergänzungen der BauV in den Titeln «2bis Definitionen» und «2ter Einordnung von Bauten und Anlagen (§ 42 BauG)» entschlacken die kommunalen Bau- und Nutzungsordnungen und beabsichtigen eine weitere Harmonisierung der Baubegriffe im Kanton. Bei der Ermittlung des Wohnanteils (§ 15b BauV) ändert sich für einige Gemeinden die Berechnungsweise. Auch gestützt auf § 32 Abs. 3 BauV nicht anrechenbare Flächen müssen neu bei der Ermittlung des Wohnanteils mitberücksichtigt werden.
Bisher wurden im Kanton Aargau ausschliesslich die wegleitenden Entscheide der Gerichte und Departemente publiziert. Seit anfangs Jahr ist eine neue Plattform verfügbar: AGVE-Web-Portal. Damit machen die kantonalen Organe der Rechtsprechung ihre Entscheide weitgehend öffentlich zugänglich.
Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind grundsätzlich öffentlich. So will es die Bundesverfassung (Art. 30 Abs. 3 BV) – unter dem Eindruck völkerrechtlicher Vorgaben (Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 14 UNO-Pakt II). Dahinter steht das sog. Prinzip der Justizöffentlichkeit. Das Prinzip soll namentlich sicherstellen, dass auch nicht direkt am Verfahren beteiligte Dritte nachvollziehen können, wie gerichtliche Verfahren geführt werden, das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird. Die Justizöffentlichkeit bedeutet eine Absage an jegliche Form der Kabinettsjustiz, will für Transparenz der Rechtsprechung sorgen und die Grundlage für das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit schaffen (BGE 139 I 129, 133, E. 3.3). Die öffentliche Urteilsverkündung dient sogar primär Dritten. Neben der Urteilsverkündung an Ort und Stelle tragen weitere, nicht subsidiäre Formen dem Verkündungsgebot Rechnung, namentlich die Publikation in amtlichen Sammlungen oder die Bekanntgabe über das Internet. Urteile sind im Grundsatz – egal, ob rechtskräftig oder aufgehoben – zur Einsichtnahme bereitzuhalten (Urteil des Bundesgerichts 1C_123/2016 vom 21. Juni 2016, E. 3.6 und 3.9; im Einzelnen zum Urteil 1C_123/2016 siehe bereits unseren Newsletter vom Dezember 2016).
Einen Anspruch, dass sämtliche Gerichtsurteile im Internet veröffentlicht werden, vermittelt die bundesgerichtliche Rechtsprechung nach dem Gesagten jedoch nicht. Garantiert wird bloss die Einsicht auf Anfrage. Dies stellt Rechtsuchende oftmals vor ein Problem, denn woher sollen sie wissen, dass bezüglich einer bestimmten Rechtsfrage ein Entscheid existiert. Abgesehen davon bezieht sich Art. 30 Abs. 3 BV auf Gerichts- und nicht auf Verwaltungsentscheide.
Umso erfreulicher ist, dass der Kanton Aargau mit dem neuen AGVE-Web-Portal unterdessen nicht mehr nur die wegleitenden, sondern – notabene – zahlreiche weitere Entscheide des Ober- und Spezialverwaltungsgerichts sowie des Regierungsrats und der kantonalen Verwaltung über das Internet der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte. Die Massnahme geht auf ein Postulat von unserem Kollegen Dr. Lukas Pfisterer vom 26. September 2017 zurück (zum Geschäft Nr. 17.235).
Anhand von publizierten Entscheiden können Rechtsuchende feststellen, dass eine für sie offene oder von einer unteren Instanz allenfalls auch unbefriedigend beantwortete Rechtsfrage bereits überzeugend und widerspruchsfrei beantwortet worden ist. Folglich besteht aufgrund der in Aussicht gestellten Veröffentlichung von zahlreichen weiteren kantonalen Gerichts- und Verwaltungsentscheide die nicht ganz unbegründete Hoffnung, dass Rechtsuchende zukünftig auf das eine oder andere Beschwerdeverfahren verzichten. Dies dürfte den zusätzlichen Aufwand im Zusammenhang mit der Entscheid-Anonymisierung wohl mehr als nur kompensieren. Die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden können ihren Aufwand bis zu einem gewissen Grad also selbst steuern. Man darf gespannt sein.
Unsere Bundesverfassung und unsere Kantonsverfassung legen den Grundsatz fest, dass alle Personen einen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung haben (Art. 29 Abs. 1 BV und § 69 Abs. 5 KV). Daraus wird unter anderem der Anspruch auf unbefangene Entscheidträger abgeleitet, konkretisiert in den Regeln des Ausstandes. Das kantonale Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege VRPG führt die Ausstandsvorschriften auf Gesetzesebene aus (AGVE 2013, S. 545, 547). Danach darf am Erlass von Entscheiden u.a. nicht mitwirken, wer (lit. a) in der Sache ein persönliches Interesse hat, (lit. b) mit einer Partei familiär verbunden ist, (lit. c) eine Partei vertritt oder für eine Partei in der gleichen Sache tätig war, (lit. d) u.a. Mitglied der Behörde ist, deren Entscheid angefochten ist oder (lit. e) aus anderen Gründen in der Sache befangen sein könnte.
Ausstandspflichtig ist nicht nur, wer verfügt oder (mit-)entscheidet. Das Mitwirkungsverbot bezieht sich auf alle Personen, die auf das Zustandekommen des Entscheides Einfluss nehmen können. Dazu zählen namentlich auch Sachbearbeiter oder Protokollführer mit beratender Funktion (AGVE 2014, S. 187 f.).
Die Ausstandsregeln sind im Grundsatz streng auszulegen. Zur Annahme einer rechtlich unzulässigen Befangenheit genügt es, wenn Aussenstehenden den Eindruck einer bereits feststehenden Meinung erhalten können. Ob eine solche tatsächlich besteht, ist nicht relevant.
Eine Ausnahme hält § 16 Abs. 3 VRPG fest: «Beratung im Rahmen der amtlichen Pflichten ist in der Regel kein Ausstandsgrund».
Dies ist namentlich für das Baubewilligungswesen relevant. Denn hier geben die Bauverwaltungen den Baugesuchstellenden oft Auskünfte oder sogar Empfehlungen ab. Hierzu hat sich eine differenzierte Rechtsprechung entwickelt, die nach dem «Schweregrad» der behördlichen Einflussnahme unterscheidet:
Unverbindliche Stellungnahmen zu abstrakten Rechtsfragen (Beispiel: «In welcher Zonen liegt meine Parzelle?») begründen in der Regel keine Gefahr der späteren Befangenheit. Eine gewisse Begleitung durch die Behörden ist zulässig. Sie darf jedoch nicht so weit gehen, die Bauherrschaft bei der Ausarbeitung des Baugesuchs zu beraten (Beispiel: «Wir empfehlen Ihnen hier die Farbe Weiss.») oder ihr die Zusage zu machen, das Vorhaben in einer bestimmten Form bewilligen zu können (Beispiel: «Diese Dachform können wir bewilligen.»). Sofern die Bauherrschaft verbindliche Auskünfte erhalten will, ist sie auf das Verfahren des Vorentscheides zu verweisen (vgl. dazu auch Urteile des Bundesgerichts 1C_903/2013 vom 10. August 2015, E. 2.2, Gemeinde Mels; 1C_477/2016 vom 16. August 2017, E. 3, Gemeinde Basadingen-Schlattingen).
Grundsätzlich ist das Erteilen von Auskünften also zulässig und aufgrund von Prozessökonomie und Verfahrenskoordination gerade bei Grossprojekten, bei denen sich komplexe Sachverhalts- und Rechtsfragen stellen, unter Umständen sinnvoll. Dies liegt auch im Interesse der Verfahrensökonomie und der bürgernahen Verwaltung (AGVE 2007, S. 105, 111). Dabei ist entscheidend, mit welcher Bestimmtheit die Fragen beantwortet werden: Können Aussenstehende davon ausgehen, die Person in der Bauverwaltung oder in der Baukommission habe sich erst vorläufig zur Sache geäussert hat oder müssen sie davon ausgehen, dass die Meinung bereits feststeht? Relevant ist also der Einzelfall.
Kürzlich waren wir in zwei Verfahren mit dem Ausstandsthema konfrontiert.
Im ersten Dossier ging es um die Frage, ob ein Mitglied des Gemeinderates, das gleichzeitig das Präsidium einer Altersstiftung der Gemeinde innehatte, im Gemeinderat über ein Baugesuch der Stiftung mitentscheiden könne. Der Vorwurf lautete, das Mitglied vertrete im Baubewilligungsverfahrens das Interesse der Stiftung und damit ihr persönliches Interesse. Die Rechtsmittelbehörde bestätigte den Vorwurf nicht, wie von uns vertreten. Denn das Mitglied des Gemeinderates, welches durch den Gemeinderat in den Stiftungsrat entsandt war, nahm in der Altersstiftung öffentliche Interessen wahr (kommunale Alterspolitik) und verfolgte nicht die eigenen Interessen oder sogar private Anliegen. Die beanstandeten Doppelfunktion - Mitglied in Gemeinderat und Stiftungsrat - begründete in diesem Fall keinen Interessenkonflikt.
Der Entscheid ist vernünftig und praxisnah. Hätte die institutionelle Doppelfunktion zum Ausstand geführt, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsweise der Gemeinderäte im Kanton Aargau haben können: Viele Gemeinderatsmitglieder bekleiden von Amtes wegen Ämter in gemeindenahen Organisationen. Sie müssten fortan im Gemeinderat bei allen Entscheidungen, welche «ihre» Organisation betreffen, in den Ausstand treten. Die Gemeinderäte als Kollegium wären bei zahlreichen Entscheidungen nicht mehr vollzählig. Sie müssten sich daraufhin wohl überlegen, ob sie überhaupt noch Mitglieder in diese Organisationen entsenden wollen. Dies ist nicht Sinn und Zweck der Ausstandsvorschriften und stellte die Funktionsweise der Gemeindelandschaft in Frage. Solange im Einzelfall keine Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit erkennbar sind, bleibt die rein institutionelle Doppelfunktion daher folgenlos und müssen Gemeinderatsmitglieder nicht in den Ausstand treten.
Im zweiten Dossier ging es um ein Bauprojekt in der Nähe eines kantonalen Denkmalschutzobjektes. Um präventiv negative Auswirkungen des Bauprojektes auf das Ortsbild und auch auf ein nahes kantonale Denkmalschutzobjekt und dessen Umgebung zu vermeiden, wurde das Bauprojekt durch eine Arbeitsgruppe mit u.a. einem Gemeinderatsmitglied sowie je einer Person der Bauverwaltung und der kantonalen Denkmalpflege begleitet. Einige Nachbarn beanstandeten diese Begleitung und stellten ein Ausstandsgesuch gegen die Mitlieder der Arbeitsgruppe und auch gegen den gesamten Gemeinderat. Ihr Vorwurf an den Gemeinderat lautete, das Gemeinderatsmitglied aus der Arbeitsgruppe habe die anderen vier Mitglieder des Gemeinderates laufend über das Projekt informiert, so dass sich alle fünf eine feste Meinung gebildet hätten.
Der Regierungsrat hiess das Gesuch in Bezug auf die Mitglieder der Arbeitsgruppe gut. Er hielt fest, in der Arbeitsgruppe sei das Projekt verschiedentlich besprochen und den Architekten seien auch Vorschläge zur Gestaltung mitgegeben worden. Das könne bei den Nachbarn den Anschein wecken, die Meinungen seien bereits gebildet. Dies betraf das Gemeinderatsmitglieds sowie die Person aus der Bauverwaltung und aus der kantonalen Denkmalpflege. Gegenüber den vier weiteren Gemeinderatsmitgliedern wies der Regierungsrat das Gesuch ab. Er erkannte keine Voreingenommenheit. Die Gemeinderatsmitglieder seien nicht an das Urteil der Arbeitsgruppe gebunden und hätten nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, unbefangen über das Baugesuch zu entscheiden.
Dieser zweite Entscheid ist vertretbar in Bezug auf die Mitwirkung des Gemeinderatsmitglieds sowie der Person aus der Bauverwaltung. Sie haben sich in der Arbeitsgruppe konkret geäussert und werden bei der Beurteilung des Baugesuches kaum von dieser Haltung abweichen. Ferner ist richtig, dass die anderen Mitglieder des Gesamtgemeinderats nicht als voreingenommen gelten, weil sie durch ein Gemeinderatsmitglied über Ergebnisse aus einer Arbeitsgruppe informiert worden sind. Die Konsequenzen des Entscheides bleiben daher beschränkt. Die Gemeinden müssen sich entweder bei der Begleitung von Bauprojekten mehr zurückhalten oder eine personelle Trennung zwischen der Begleitung des Projektes und dem Entscheid darüber einführen.
Bezüglich der kritisierten Mitwirkung der Person aus der kantonalen Denkmalpflege kann der Entscheid hingegen zu unliebsamen Konsequenzen führen. Denn Bauten und andere Vorkehrungen in der Umgebung von kantonal geschützten Baudenkmälern, die deren Wirkung beeinträchtigen können, benötigen eine Zustimmung der Denkmalpflege (§ 32 Abs. 1 Kulturgesetz Aargau und § 29 Abs. 1 Verordnung zum Kulturgesetz). Darf sich die Denkmalpflege nicht mehr frühzeitig zu Projektentwürfen äussern, sondern erst zum fertigen Produkt, erfahren die Bauherrschaften erst sehr spät, ob die Denkmalpflege eine Beeinträchtigung erkennt oder nicht. Bei einer Abweisung lösen sich dann lange Planungsarbeiten in Luft auf, und damit auch Geld.
Diesem zweiten Entscheid kommt also eine gewisse Relevanz zu: Die kantonale Denkmalpflege hat seit Jahren Projekte frühzeitig begleitet, im Sinne des Denkmalschutzes. Sie muss ihr bewährtes Vorgehen nun wohl überdenken. Zieht sie sich vermehrt auf das Entscheiden über fertige Bauprojekte zurück, wäre dies sicher nicht im Sinne der Bauherrschaften. Ob dem kantonalen Schutz von Baudenkmälern geholfen ist, wenn die Denkmalpflege nur noch Ja oder Nein zu benachbarten Bauprojekten sagen darf, ist auch zu bezweifeln.
Der Beschluss des Regierungsrats ist rechtskräftig geworden. Ob das Verwaltungsgericht als nächsthöhere Instanz auch so entschieden hätte, bleibt damit ungeklärt.
Projekte benötigen auch Zustimmungen von anderen Fachstellen des Kantons, wie Gewässerabstand und anderes. Diese Fachstellen dürfen sich zukünftig wohl auch nicht mehr frühzeitig äussern oder mit deutlich mehr Zurückhaltung. Das gilt übrigens auch für die kommunalen Baukommissionen.
Das Thema des Ausstandes erlebt in den letzten Monaten einen richtiggehenden prozessualen «Höhenflug». Nachbarn können damit ein Projekt sicher verzögern. In der Sache lässt sich in der Regel kaum etwas gewinnen. Allenfalls legt sich daher dieser «Höhenflug» wieder einmal. Wichtig ist, dass die Behörden, welche den geltend gemachten Ausstand beurteilen müssen, im Einzelfall den «Spagat» zwischen den Anforderungen des Rechtes und den Auswirkungen auf die Praxis nicht aus den Augen verlieren.
Im Verfahren der öffentlichen Beschaffung kann die Vergabestelle in der Ausschreibung des Beschaffungsgegenstandes festlegen, ob ein Anbieter Eignungskriterien erfüllen und welche Nachweise er dafür erbringen muss. Erfüllt ein Anbieter die Eignungskriterien nicht, muss er meist aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Dabei hat die Vergabestelle praktisch kein Ermessen, wie sich einem jüngst publizierten Entscheid des Verwaltungsgerichts entnehmen lässt (VGE III/45 vom 12. Mai 2021, WBE.2021.28).
Dieser Fall basiert auf folgendem Sachverhalt: Ein Abwasserverband schrieb Baumeisterarbeiten für die Erweiterung der Abwasserreinigungsanlage im offenen Verfahren aus. In den Ausschreibungsunterlagen wurden die folgenden Eignungskriterien festgelegt:
Gemäss Art. 27 IVöB (hier noch gemäss § 10 SubmD) kann die Vergabestelle in der Ausschreibung oder in den Ausschreibungsunterlagen Kriterien zur Prüfung der Eignung des Anbieters festlegen. Die Eignungskriterien können insbesondere die fachliche, finanzielle, wirtschaftliche, technische und organisatorische Leistungsfähigkeit sowie die Erfahrung des Anbieters betreffen.
Bei der Auswahl der Eignungskriterien und der Eignungsnachweise kommt der Vergabestelle (wie auch bei der Beurteilung der Anbieter und ihrer Angebote) ein grosses Ermessen zu. Die Vergabebehörde ist aber an ihre eigenen Vorgaben in Bezug auf die Eignungskriterien und die verlangten Eignungsnachweise gebunden. Achtung: Die Eignungskriterien müssen grundsätzlich zum Zeitpunkt des Offerteingabeschlusses oder jedenfalls spätestens im Zeitpunkt des Zuschlagsentscheids erfüllt sein; sofern sich aus den – richtig ausgelegten – Ausschreibungsangaben kein späteres Erfüllungsdatum ergibt.
Im konkreten Fall war der Offerteingabeschluss der 4. Dezember 2020; das heisst, die Eignungskriterien mussten zu diesem Zeitpunkt erfüllt sein. Das bedeute, dass die Referenzprojekte längstens am 4. Dezember 2015 («in den vergangenen fünf Jahren ausgeführte Objekte») ausgeführt, sprich fertiggestellt sein mussten. Im konkreten Fall erfolgte die Abnahme der Baumeisterarbeiten des einen Referenzobjekts jedoch bereits am 2. September 2015.
Zum Zeitpunkt der Offerteingabe des Anbieters am 3. Dezember 2020 lagen die Ausführung und Abnahme der Baumeisterarbeiten somit fünf Jahre und drei Monate zurück. Mit anderen Worten handelt es sich beim im Angebot genannten einen Referenzprojekt nicht um ein «in den vergangenen fünf Jahren» ausgeführtes Objekt des Anbieters, sondern die Ausführung der relevanten Arbeiten lag mehr als fünf Jahre zurück. Es war als Referenzprojekt somit zu alt.
Eignungskriterien sind Ausschlusskriterien. Sie sind entweder erfüllt oder nicht erfüllt. Erfüllt ein Anbieter ein Eignungskriterium nicht, ist er daher vom Verfahren auszuschliessen, sofern sich der Ausschluss nicht als unverhältnismässig oder überspitzt formalistisch erweist (vgl. BGE 145 II 250 f.). Das Verwaltungsgericht beurteilte das veraltete Referenzobjekt aus unserer Sicht zu Recht als erheblichen Mangel, was zum Ausschluss des Anbieters aus dem Verfahren führte.
Das Gericht begründete dies damit, dass der Verzicht auf einen Ausschluss eine Bevorzugung bzw. eine Ungleichbehandlung des Anbieters gegenüber denjenigen Anbietern zur Folge hätte, welche die gestellten Anforderungen korrekt und vollumfänglich erfüllt haben. Auch ergäbe sich eine Ungleichbehandlung gegenüber Dritten, die mangels geeignetem (weil z.B. mehr als fünfjährigem) Referenzobjekt auf ein Angebot verzichtet haben. Diese Erwägungen des Gerichts überzeugen. Es ist nicht überspitzt formalistisch, auf der Erfüllung von klar formulierten Kriterien zu beharren.
Das Verwaltungsgericht hob deshalb in Gutheissung der Beschwerde den von der Vergabestelle erteilten Zuschlag auf und wies die Sache zum Erlass einer neuen Zuschlagsverfügung an den Abwasserverband zurück.
Der Entscheid zeigt, dass der Vergabestelle zwar ein grosses Ermessen bei der Beurteilung der Angebote zukommt. Enthält die Ausschreibung aber Eignungskriterien, ist deren Einhaltung bei der Beurteilung der Anbieter genau zu prüfen. Die Vergabestelle hat dabei nahezu keinen Ermessenspielraum: Erfüllt ein Anbieter die Eignungskriterien nicht, muss im Regelfall ein Ausschluss aus dem Verfahren erfolgen. Dem Anbieter ist angesichts des Risikos eines Ausschlusses zu empfehlen, die im Angebot genannten Referenzprojekte mit grösster Sorgfalt auszuwählen.
Mobilfunkanlagen dürfen nur bewilligt werden, wenn die Gesuchstellerin im Baubewilligungsverfahren den Nachweis der Einhaltung der NISV-Grenzwerte erbringt. In sogenannten Standortdatenblättern führt die Gesuchstellerin Immissionsprognosen durch für Orte mit empfindlicher Nutzung (OMEN), an denen die Anlagegrenzwerte eingehalten werden müssen. Diese Berechnungen sind nicht selten fehlerhaft, wie drei aktuelle Urteile von kantonalen Verwaltungsgerichten zeigen.
Bevor eine Mobilfunkanlage neu erstellt, an einen anderen Standort verlegt, am bestehenden Standort ersetzt oder geändert wird, muss ihr Inhaber der für die Bewilligung zuständigen Behörde ein Standortdatenblatt einreichen, welches über den geplanten Betrieb der Anlage und die Strahlung in ihrer Umgebung Auskunft gibt (Art. 11 Abs. 1 und 2 NISV). Das Standortdatenblatt muss gemäss Art. 11 Abs. 2 NISV die aktuellen und geplanten technischen und betrieblichen Daten der Anlage enthalten, soweit sie für die Erzeugung von Strahlung massgebend sind (lit. a), den massgebenden Betriebszustand gemäss Anhang 1 (lit. b), Angaben über die erzeugte Strahlung (lit. c) sowie einen Situationsplan, der die Angaben nach lit. c darstellt (lit. d).
Gleich in drei aktuellen Urteilen stellten kantonale Verwaltungsgericht fest, dass die betroffene Mobilfunkanbieterin die Immissionsprognosen nicht korrekt erstellt hat und die Standortdatenblätter fehlerhaft waren.
Im Urteil VB.2021.00064 vom 2. Dezember 2021 hiess das Verwaltungsgericht Zürich eine Beschwerde gut und hob die erteilte Baubewilligung auf. Die Beschwerdeführenden hatten vor Baurekursgericht vorgebracht, dass das Standortdatenblatt bezüglich OMEN fehlerhaft sei. Vor Verwaltungsgericht kritisierten die Beschwerdeführenden, dass das Baurekursgericht inhaltlich nicht auf die diesbezüglichen Rügen eingegangen sei. Es erachtete die Begründungen als pauschal bzw. als zu wenig substantiiert. Das Verwaltungsgericht hingegen würdigte diese Argumentation des Baurekursgerichts als «nicht haltbar», weil die Beschwerdeführenden genau angegeben hatten, an welchen Orten sie von einer Überschreitung des Anlagegrenzwerts ausgingen. Nach Auffassung des Gerichts hätte sich das Baurekursgericht damit materiell auseinandersetzen müssen (E. 10.2.2). Bei einem OMEN hatten die Beschwerdeführenden vorgebracht, der Ort sei im Bereich der Oblichter zu verorten (weil dort kein Dämpffaktor angewendet werden darf). Das Baurekursgericht war der Meinung, es sei korrekterweise mit einem Dämpffaktor von 15 dB gerechnet worden, weil «die Oblichter» mit einer NIS-Abschirmung versehen würden. Gemäss den Bauplänen war eine solche indes nur bei drei der sieben bestehenden Oblichter geplant. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts könne daher nicht ohne nähere Prüfung davon ausgegangen werden, dass unter allen vier der gemäss Bauplänen nicht abgeschirmten Oblichtern, an denen die Gebäudedämpfung von 15 dB nicht berücksichtigt werden kann, der Anlagegrenzwert eingehalten sei. Das Gericht führte aus, es bestünden «ernsthafte Zweifel» daran, dass die Anlagegrenzwerte unter den Oblichtern ohne NIS-Abschirmung - unter denen sich mutmasslich Arbeitsräume befinden - eingehalten werden (E. 10.3). Es hob die Baubewilligung und den Entscheid des Baurekursgerichts auf und wies das Verfahren zur weiteren Abklärung des Sachverhalts an die Gemeinde zurück.
Im Urteil VB.2021.00407 vom 27. Januar 2022 beurteilte das Verwaltungsgericht Zürich ein Standortdatenblatt, bei dem die Mobilfunkanbieterin die für Eisenbetondecken erlaubte Gebäudedämpfung von 15 dB eingesetzt hatte. Die Beschwerdeführenden brachten vor, das Dach des Standortgebäudes bestehe nicht aus Eisenbeton, sondern es handle sich um eine Hourdisdecke aus Holz, für die keine oder nur eine geringe Gebäudedämpfung berücksichtigt werden dürfe. Sie führten dazu alte Baugesuchspläne ins Recht, welche den Dachaufbau entsprechend belegten.
Die falschen Angaben im Standortdatenblatt wollte die Mobilfunkanbieterin mit einer Abschirmung «korrigieren», was das Verwaltungsgericht jedoch nicht akzeptierte. Das Gericht erwog, insbesondere in gestalterischer und bautechnischer Hinsicht führe das geplante Netz zu einer wesentlichen Projektänderung, nehme es doch zum einen einen Grossteil der Dachfläche in Anspruch, wohingegen das ursprüngliche Projekt lediglich einen kleinen Teil beanspruchte. Zum anderen sei auch die Befestigung des Netzes, dessen genaue Maschenweite sowie generell die Dämpfungswirkung des Netzes zu prüfen und zu beurteilen. Für eine nebenbestimmungsweise Heilung im Sinn von §321 PBG durch das Gericht bleibe daher kein Raum.
Da ohne Gebäudedämpfung an einem OMEN eine elektrische Feldstärke von über 9 V/m anstelle der erlaubten 5 V/m resultierte, hob das Verwaltungsgericht Zürich die Baubewilligung vollumfänglich auf.
Im Urteil B20/016/JBA vom 8. Februar 2022 folgte das Verwaltungsgericht Obwalden der Kritik der Beschwerdeführerin am Standortdatenblatt und den Feldstärkenberechnungen ebenfalls. Sie hatte eine falsche Wahl des OMEN vorgebracht, weil bei der Berechnung eines Gebäudes, das näher an der Antenne liegt, eine tiefere elektrische Feldstärke berechnet worden war als bei dem weiter entfernten Gebäude auf demselben Grundstück.
Das Gericht erwog, die Mobilfunkanbieterin habe nicht nachvollziehbar aufgezeigt, weshalb der Abstrahlwinkel und/oder die relative Lage der Anlage dazu führe, dass das westliche Gebäude stärker bestrahlt werde als das näher liegende östliche Gebäude (E. 3.3.5). Die Berechnung der Mobilfunkanbieterin scheine in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft; es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Umweltamt nicht von den sechs bewilligten Antennen ausging, sondern von insgesamt acht. Ebenso sei unklar, weshalb es lediglich eine Antenne dem Hochfrequenzbereich zuordnete, während die Mobilfunkanbieterin zwei Antennen als adaptive Antennen im Hochfrequenzbereich betreiben wolle. Schliesslich sei fragwürdig, weshalb das Umweltamt für das östliche Chalet von unterschiedlichen Gebäudehöhen ausging, während die Mobilfunkanbieterin beim südwestlichen Gebäude eine einheitliche Gebäudehöhe deklarierte. Die Nachberechnung des Umweltamts stelle keine zuverlässige Grenzwertberechnung dar, welche die korrekte Wahl der OMEN und/oder die Einhaltung der Grenzwerte auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin nachweisen könne (E. 3.3.6).
Das Gericht hob den Entscheid des Regierungsrats (Vorinstanz) auf und wies es zur neuen Beurteilung an ihn zurück.
Fazit
Nicht selten erweisen sich die Standortdatenblätter der Mobilfunkanbieter als fehlerhaft. Es empfiehlt sich daher, die den Immissionsprognose zugrundeliegenden Angaben kritisch zu hinterfragen. Wird ein OMEN übersehen oder mit falschen Angaben berechnet, besteht die Gefahr, dass Anlagen in Betrieb genommen werden, die nicht den umweltrechtlichen Vorgaben des Strahlenschutzes entsprechen.
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