Fast 200 Teilnehmende durften wir zur vierten Ausgabe unserer Weiterbildungsveranstaltung «Baurecht für Gemeinden» begrüssen.
Am 4. September 2024 veranstaltete die Kanzlei Pfisterer Fretz Munz Rechtsanwälte zum vierten Mal ihre Weiterbildungsveranstaltung «Baurecht für Gemeinden». Im Weiterbildungszentrum Lenzburg wurden Bauverwaltungen, Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber sowie Ingenieurbüros über aktuelle Themen und Entwicklungen im Baurecht informiert.
Nach einer Begrüssung durch Dr. Lukas Pfisterer begann Simon Albrecht-Widler von der Abteilung für Umwelt des BVU des Kantons Aargau mit einem Vortrag zur aktuellen Problematik des Bauens und Planens in lärmbelasteten Gebieten. Er zeigte dabei die kommenden Entwicklungen im Lärmschutzrecht auf.
Giulia Spirig widmete sich dem Thema Ausnahmebewilligungen. Sie betonte, dass diese ihrem Wesen nach Ausnahmefälle bleiben müssen und dass nicht willkürlich von den Bauvorschriften abgewichen werden darf.
Dr. Michael Pletscher beleuchtete die Frage, wie der rechtmässige Zustand wiederhergestellt werden kann, wenn die Bauherrschaft die Mitwirkung verweigert.
Christian Munz erläuterte die Herausforderungen bei der Erstellung von Gebührenreglementen, während Michèle Bächli über die Ausgleichspflicht bei Planungsvorteilen durch eine Mehrwertabgabe referierte und klärte, wann eine Verfügung zulässig ist.
Ein besonders diskussionsreiches Thema war die von Dr. Lukas Pfisterer präsentierte korrekte Handhabung des Strafbefehlsverfahrens im Baurecht.
Mirjam Obrist von Koch + Partner gab praktische Tipps zur Formulierung von Baubewilligungen und bot den Teilnehmenden wertvolle Impulse für ihre tägliche Arbeit.
Abgerundet wurde der Tag mit Praxisbeispielen von Michael Fretz, die zu lebhaften Diskussionen unter den Teilnehmenden führten.
Die Veranstaltung bot reichlich Gelegenheit zum interdisziplinären Austausch, sowohl während der Vorträge als auch in den Pausen und beim abschliessenden Apéro. Die Inputs der Teilnehmenden, die sich daraus ergebenden Diskussionen und die Vielfalt der Themen trugen dazu bei, dass die Teilnehmenden mit neuen Erkenntnissen und wertvollen Anregungen den Tag beendeten.
Wir freuen uns bereits auf die nächste Veranstaltung im Jahr 2025!
Die individuelle Eröffnung des Vergabeentscheides geht der Publikation auf SIMAP für den Fristenlauf vor. Es gilt grundsätzlich das «Primat der individuellen Zustellung».
Das Bundesgericht hat dies als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in einem aktuellen Urteil 2C_512/2023 vom 5. Juni 2024 entschieden. Das Urteil ist zur Publikation in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtsentscheide vorgesehen (BGE-Datenbank).
Hintergrund des Urteils ist eine Arbeitsvergabe des Tiefbauamts des Kantons Zürich an die ARGE D. Die Vergabebehörde teilte den anderen Anbieterinnen, darunter die ARGE A., die Zuschlagserteilung an die ARGE D. mit Schreiben vom 26. April 2023 mit. Am 2. Mai 2023 erfolgte die SIMAP-Publikation des Zuschlags. Auf dieser elektronischen Plattform veröffentlichen Bund, Kantone und Gemeinden ihre Ausschreibungen und Entscheide im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens (simap.ch). Der Name simap.ch leitet sich aus der Bezeichnung «Système d’information sur les marchés publics en Suisse» ab.
Die ARGE A. erhob gegen den Zuschlag Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Für die Berechnung der Beschwerdefrist ging sie vom Datum der SIMAP-Publikation aus. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich trat auf die Beschwerde nicht ein, da sie zu spät eingereicht worden sei. Massgebend sei die individuelle Zustellung gewesen, nicht die SIMAP-Publikation. Die ARGE A. reichte dagegen eine Beschwerde beim Bundesgericht ein. Sie machte geltend, für den Beginn der Beschwerdefrist sei die Publikation auf SIMAP massgebend gewesen. Die Beschwerde sei daher rechtzeitig erfolgt.
Das Bundesgericht verneinte dies. Die Beschwerdefrist habe am 28. April 2023 mit der Zustellung der Verfügung (Eröffnung der Zuschlagserteilung) zu laufen begonnen und nicht mit der späteren Publikation auf SIMAP. Es gelte das Primat der individuellen Zustellung: Die individuelle Zustellung der Verfügung habe Vorrang vor der Publikation auf SIMAP.
Die ARGE A. argumentiere ergänzend, in einem anderen Fall sei die SIMAP-Publikation als fristauslösend beurteilt worden. Das Bundesgericht bestätigte dies, allerdings unter dem Hinweis, in jenem Fall habe die Vergabebehörde in der individuellen Eröffnung des Vergabeentscheids ausdrücklich darauf hingewiesen, die Beschwerdefrist beginne erst mit der Publikation zu laufen (vgl. Urteil Verwaltungsgericht Kanton Zürich, VB.2011.00322, E. 2). Ein solcher Hinweis habe hier gefehlt.
Damit ist eine wichtige offene Frage nach dem Verhältnis von individueller Zustellung und SIMAP-Publikation geklärt: Ohne Hinweis und Vorbehalt einer späteren Publikation auf SIMAP ist die individuelle Zustellung fristauslösend.
Das Bundesgericht hat in einem neuen Urteil bestätigt, dass die Anwendung eines Korrekturfaktors bei adaptiven 5G-Antennen baubewilligungspflichtig ist. Es hat seinen Entscheid mit dem Wegfall bzw. mit der Abschwächung der geltenden vorsorglichen Emissionsbegrenzung begründet.
Das Urteil des Bundesgerichts 1C_506/2023 vom 23. April 2024 hat es in sich: Es bedeutet für die Mobilfunkanbieter, dass sie für sämtliche Antennenanlagen, bei denen adaptive Antennen im «worst case-Szenario» bewilligt worden sind (d.h. noch ohne Privilegierung durch einen Korrekturfaktor), nachträgliche Baubewilligungsverfahren durchgeführt werden müssen, falls ein Korrekturfaktor aufgeschaltet werden soll.
Damit hatten die Mobilfunkanbieter nicht gerechnet. Sie gingen davon aus, dass gestützt auf die NISV (Ziffer 62 Absatz 5bis) die Aufschaltung des Korrekturfaktors keine baubewilligungspflichtige Änderung sei, weshalb sie schweizweit Hunderte von Anlagen bereits mit dem (umstrittenen) Korrekturfaktor in Betrieb genommen hatten.
Was ein herber Rückschlag für die Mobilfunkindustrie ist, stellt für die Strahlenschützer ein beachtenswerter Erfolg dar. Sie argumentieren, dass die Leistungsspitzen, die je nach Korrekturfaktor mehr oder weniger deutlich den Anlagengrenzwert überschreiten, nicht mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar sind.
Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 23. April 2024 zwar nicht die Rechtswidrigkeit des Korrekturfaktors festgestellt. Es hat aber immerhin ausdrücklich erwogen, dass die Anwendung des Korrekturfaktors «den Wegfall (bzw. die Abschwächung) einer bisher geltenden, vorsorglichen Emissionsbegrenzung ("Worst-Case-Szenario") im Sinne von Art. 11 Abs. 2 USG» bedeute (E. 4.2). Ob die Anwendung eines Korrekturfaktors durch das Bundesgericht generell untersagt wird, steht damit noch nicht fest.
Die Mobilfunkanbieter, welche ohne Bewilligung auch bei im «worst-case-Szenario» bewilligten Anlagen den Korrekturfaktor zur Anwendung bringen und diesen nicht umgehend abschalten, handeln rechtswidrig. Sie sind gezwungen, umgehend für die Abschaltung des Korrekturfaktors zu sorgen und nachträgliche Baugesuche einzureichen.
In einem neueren Entscheid hatte das Departement für Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) Gelegenheit, sich zum Vorwegentscheid (§ 54 Abs. 4 BauV) zu äussern. Das Vorwegentscheidverfahren ist neben dem ordentlichen und vereinfachten Verfahren gewissermassen das dritte Verfahren, in dem im Kanton Aargau ein Bauentscheid ergehen kann.
Baugesuche sind zwingend öffentlich aufzulegen. Dieser Grundsatz wird im Kanton Aargau nicht nur im vereinfachten Verfahren nach § 61 BauG, sondern auch mit § 54 Abs. 4 BauV aufgeweicht. Gemäss § 54 Abs. 4 BauV kann der Gemeinderat ein Baugesuch, bei dem von vornherein feststeht, dass es nicht bewilligungsfähig ist, ohne vorgängige Profilierung und Publikation abweisen (§ 54 Abs. 4 Satz 1 BauV). Das BVU bezeichnet diese Form der Baugesuchsabweisung als Vorwegentscheid (EBVU 23.386, E. 3.1 [Abs. 1]).
Der Vorwegentscheid nach § 54 Abs. 4 Satz 1 BauV ist deshalb mit dem eingangs erwähnten Grundsatz der zwingenden öffentlichen Baugesuchsauflage vereinbar, weil die Bauherrschaft innert 30 Tagen seit Zustellung des Entscheids das ordentliche Verfahren verlangen kann und der Gemeinderat das Gesuch als Folge davon profilieren lassen, öffentlich auflegen und neu darüber entscheiden muss (§ 54 Abs. 4 Satz 2 BauV). Nachbarn und sonstige interessierte Dritten haben so die Möglichkeit, Einwendungen zu erheben und im späteren Beschwerdeverfahren mitzuwirken. Es stellt mit anderen Worten fest, wer sich am Bauvorhaben stört und auch bereit ist, dagegen vorzugehen (EBVU 23.386, E. 3.1 [Abs. 1]).
Das BVU hält in diesem Entscheid auch fest, wann § 54 Abs. 4 Satz 1 BauV Anwendung findet. Ein Vorwegentscheid kann demnach gefällt werden, wenn die Bewilligung des Baugesuchs aufgrund krasser formeller Mängel (z.B. fehlende Handlungsfähigkeit der Bauherrschaft) oder schwerwiegender materieller Unzulänglichkeiten, die nicht mit Auflagen heilbar sind und auch eine Ausnahmebewilligung klar ausschliessen, von vornherein ausser Betracht fällt (EBVU 23.386, E. 3.1 [Abs. 2]).
Der Vorwegentscheid muss eine Belehrung hinsichtlich der bestehenden Möglichkeiten und der Folgen der Untätigkeit enthalten. Der Gemeinderat muss die Bauherrschaft also darauf hinweisen, dass binnen 30 Tagen seit Zustellung des Entscheids das ordentliche Verfahren verlangt werden kann und der Bauabschlag ohne entsprechenden rechtzeitigen Antrag in Rechtskraft erwächst (EBVU 23.386, E. 3.1 [Abs. 2] und E. 3.2).
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