Baubewilligungen werden durch die Gemeinden erteilt. Führen Nachbarn Beschwerde beim kantonalen Departement Bau, Verkehr und Umwelt BVU und hebt dieses die Baubewilligung auf, können die Baugesuchsteller diesen Entscheid mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht anfechten. Gemeinden steht diese Beschwerdemöglichkeit an das Verwaltungsgericht nur unter bestimmten Voraussetzungen offen. Sind diese nicht erfüllt, tritt das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein. In einem kürzlich ergangenen Entscheid legte das Aargauer Verwaltungsgericht seine Praxis zur "Gemeindebeschwerde" in Bausachen ausführlich dar und trat auf die Beschwerde ein.
Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts kann auch eine Gemeinde Beschwerde erheben (sogenannt "legitimiert" sein). Wie private Beschwerdeführer muss auch die Gemeinde ein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend machen können. Die öffentlichen Interessen einer Gemeinde sind eigene, wenn sie dem spezifischen lokalen Lebensbereich entspringen, so die Praxis des Verwaltungsgerichts. Gemeint sind jene lokalen Themen, welche die Gemeindeeinwohner erheblich anders als die Kantonseinwohner im Allgemeinen betreffen. Eine Beschwerde aus reiner Rechthaberei, weil sich die Gemeinde mit dem Entscheid der Rechtsmittelinstanz nicht abfinden will, ist ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht tritt darauf nicht ein.
Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts kann auch eine Gemeinde Beschwerde erheben (sogenannt "legitimiert" sein). Wie private Beschwerdeführer muss auch die Gemeinde ein schutzwürdiges eigenes Interesse geltend machen können. Die öffentlichen Interessen einer Gemeinde sind eigene, wenn sie dem spezifischen lokalen Lebensbereich entspringen, so die Praxis des Verwaltungsgerichts. Gemeint sind jene lokalen Themen, welche die Gemeindeeinwohner erheblich anders als die Kantonseinwohner im Allgemeinen betreffen. Eine Beschwerde aus reiner Rechthaberei, weil sich die Gemeinde mit dem Entscheid der Rechtsmittelinstanz nicht abfinden will, ist ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht tritt darauf nicht ein.
Eine Gemeinde (bzw. der Gemeinderat als handelnde Behörde) kann in Baubewilligungssachen beim Verwaltungsgericht nur dann Beschwerde führen, wenn die kantonale Instanz (z.B. das BVU) auf Beschwerde hin eine Baubewilligung erteilt, welche der Gemeinderat vorher verweigert hatte. Der Grund liegt darin, dass mit der Baubewilligung in der Gemeinde eine Veränderung entstehen würde (es würde gebaut), die der Gemeinderat vorher abgelehnt hatte. Der Gemeinderat kann hingegen nicht Beschwerde führen, wenn das BVU eine von ihm erteilte Baubewilligung aufgehoben hat und der Baugesuchsteller dies akzeptiert. Denn dann ist die Lage der Gemeinde nicht anders, als wenn der Baugesuchsteller kein Baugesuch eingereicht hätte.
Anders ist die Ausgangslage, wenn die Gemeinde eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend machen kann. Dann ist sie als Trägerin hoheitlicher Gewalt betroffen und zur Beschwerde befugt, auch wenn eine Baubewilligung des Gemeinderats aufgehoben wird. Die Aargauer Gemeinden haben in jenen Bereichen Autonomie, welche ihnen das kantonale Recht ganz oder teilweise zur Regelung überlässt und ihnen dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Zuständigkeit zum Erlass oder zum Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder auf einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung von Bundes- oder kantonalem Recht. Autonomie haben die Gemeinden beispielsweise bei der Ausscheidung und inhaltlichen Definition der verschiedenen Zonen auf dem Gemeindegebiet (§ 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a des kantonalen Baugesetzes BauG), also bei der Frage, wo soll welche Zone mit welchem Inhalt ausgeschieden werden. Daraus abgeleitet verfügen sie auch über die Autonomie bei der Anwendung dieser Regelungen (vgl. AGVE 2003 S. 189). Grundlage dazu ist § 106 der Kantonsverfassung KV, welche die Gemeindeautonomie festschreibt, und übergeordnet Art. 50 Abs. 1 der Bundesverfassung, welcher die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
Es ist richtig, dass Beschwerden durch Gemeinden nicht geführt werden sollen nur um der Rechthaberei Willen. Dies gilt insbesondere, wenn die Baugesuchsteller keine Beschwerde führen. Umgekehrt müssen die Gemeinden nicht akzeptieren, dass die Rechtsmittelinstanzen in ihren Entscheidungsbereich eingreifen und ihr Ermessen über dasjenige der Gemeinden setzen. Wurde auf Beschwerde hin eine Baubewilligung aufgehoben, welche die Gemeinde noch erteilt hatte, muss daher genau geprüft werden, ob die Gemeinde Beschwerde erheben darf und ob sie sich insbesondere auf ihren geschützten Autonomiebereich berufen kann. Es ist nicht aussichtslos, dass das Verwaltungsgericht einer Gemeinde die Beschwerdelegitimation anerkennt und auf die Beschwerde eintritt. Im genannten Fall trat das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde ein, in einem anderen Fall nicht (publiziert in AGVE 2016, S. 323). Es hängt letztlich von den richtigen Argumenten ab.
Wer baut, ist regelmässig auf die Benutzung oder Beanspruchung des Nachbargrundstücks angewiesen. Im Kanton Aargau musste der Bauherr bisher die Zustimmung des Nachbars einholen, wollte er beispielsweise ein bis an die Grenze reichendes Fundament betonieren oder ein Gerüst auf die Parzelle des Nachbarn stellen. Mit Inkrafttreten des neuen Einführungsgesetzes zum ZGB (EG ZGB) wird der Bauherr berechtigt, für die Erstellung von neuen Bauten das Nachbargrundstück vorübergehend zu benützen, wenn dies erforderlich ist.
Die sogenannten Hammerschlagsrechte sind keine Erfindung der Neuzeit. Gerade die angestrebte Verdichtung der Bauweise und die damit verbundenen engen Platzverhältnisse, bescheren dem Thema jedoch zunehmende Aktualität. So ist beispielsweise nach der kantonalen Bauverordnung (BauV) für Tiefgaragen oder Untergeschosse (sogenannte Unterniveau- und unterirdische Bauten) grundsätzlich lediglich ein Grenzabstand von 50 cm einzuhalten (§ 20 Abs. 2 BauV). Muss beim Bau die Nachbarparzelle beansprucht werden (beispielsweise zur Baugrubensicherung), so hatte der Bauherr bisher kein Recht, das fremde Grundstück dafür zu benutzen. Der Nachbar musste den Arbeiten, die weiter gehen als Instandsetzungsarbeiten, jeweils zustimmen. Neu bestimmt § 76 Abs. 1 EG ZGB, der am 1. Januar 2018 in Kraft tritt*, unter dem Titel "Nachbarschaftliches Zutrittsrecht" Folgendes:
"Die Grundeigentümerin oder der Grundeigentümer ist nach Vorankündigung berechtigt, Nachbargrundstücke zu betreten oder vorübergehend zu benützen, wenn dies erforderlich ist, um auf dem eigenen Grundstück Pflanzungen, Bauten oder Anlagen zu erstellen, zu unterhalten oder zu beseitigen."
Die bisherige Vorschrift in § 91 EG ZGB (in der Fassung bis 31. Dezember 2017) wird demnach auf alle möglichen Unterhalts- und Erstellungstätigkeiten sowie auf Beseitigungen ausgeweitet. Vorausgesetzt wird, dass das Betreten des Nachbargrundstücks "erforderlich" ist. Gemäss der Botschaft des Regierungsrats muss das Betreten oder die vorübergehende Benützung "unumgänglich" sein (Botschaft 16.136 zur Totalrevision des EG ZGB vom 22. Juni 2016, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, S. 38). Der Regierungsrat setzt damit "erforderlich" mit "unumgänglich" gleich.
"Unumgänglich" besagt im allgemeinen Sprachgebrauch, dass keine andere Möglichkeit zur Vornahme dieser Arbeiten besteht. Diese Auslegung würden wir jedoch als sehr streng erachten. Denn die Einschränkung des Hammerschlagsrechts darf unserer Auffassung nach nicht dazu führen, dass dadurch die Mehrkosten ins Unermessliche steigen. Sind bei der Bauausführung verschiedene Varianten denkbar, wovon diejenige ohne Beanspruchung des Hammerschlagsrechts massiv teurer zu stehen kommt, so soll unserer Auffassung nach der Bauherr nicht in allen Fällen zur kostspieligeren Variante gezwungen werden können. "Erforderlich" im Sinne des Gesetzes verstehen wir so, dass die Arbeiten mit verhältnismässigem Aufwand anders nicht möglich sind. Beispielsweise kostet die Anlieferung eines massiven Wandelements via Helikopter ohne Beanspruchung des Nachbargrundstücks in der Regel ein Vielfaches mehr als die Aufstellung eines Krans auf dem Nachbargrundstück zu demselben Zweck. In diesen Fällen soll unseres Erachtens das gesetzliche Hammerschlagsrecht ausgeübt werden dürfen, auch wenn die vorübergehende Benützung nicht "unumgänglich" ist.
Weiterhin Gültigkeit behält das Prinzip der Schadenersatzpflicht. Schaden, der aus dem Betreten oder Benützen entsteht, soll privatrechtlich durch Vertrag oder notfalls gerichtlich durch die Betroffenen geklärt werden. Das Gesetz verzichtet auf eine generelle Regelung einer Abgeltung der Beeinträchtigung. Es ist also jeweils fallweise zu untersuchen, zu welchen Beeinträchtigungen die Inanspruchnahme des Grundstücks führt. Ist bereits vor der Beeinträchtigung klar, dass die Benützung des Nachbargrundstücks zu einem (finanziellen) Schaden führen wird, weil beispielsweise ein vermieteter Parkplatz vorübergehend nicht benutzt werden kann, so empfehlen wir, vorgängig eine vertragliche Regelung zu treffen.
* Ebenfalls per 1. Januar 2018 treten die neuen Abstandsvorschriften für Pflanzen in Kraft (wir haben im Newsletter September 2017 darüber berichtet.
Bauvorschriften werden gelegentlich geändert. Die Besitzstandsgarantie erlaubt es dem Eigentümer einer Baute, die durch eine Rechtsänderung den neuen Vorschriften widerspricht, diese zu unterhalten, zu erneuern, angemessen zu erweitern oder auch in ihrem Zweck zu ändern. Die betreffende Baute muss jedoch "rechtmässig erstellt" worden sein. Nach geltender Praxis kann dies auch dann der Fall sein, wenn sie zwar nicht bewilligt, aber über dreissig Jahre lang geduldet worden ist.
Nur Bauten und Anlagen, die "rechtmässig erstellt" wurden, geniessen die Besitzstandsgarantie im Sinne von § 68 des Baugesetzes (BauG) des Kantons Aargau. Grundvoraussetzung der Besitzstandsgarantie ist, dass die bestehende Baute ursprünglich rechtmässig erstellt wurde oder später rechtmässig geworden ist. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass die Baute entweder gestützt auf eine rechtskräftige Baubewilligung realisiert wurde oder für das Vorhaben zum Erstellungszeitpunkt keine Bewilligung einzuholen war. (vgl. Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 2000, S. 255 f.).
Die Rechtsprechung anerkennt die Besitzstandsgarantie schliesslich auch für Bauten, die zwar nicht nach den erwähnten Kriterien rechtmässig erstellt wurden, aber aufgrund des Vertrauensschutzes der behördliche Anspruch auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands verwirkt ist. So verlieren die Behörden ihren Beseitigungsanspruch in der Regel spätestens nach dreissigjähriger Duldung. In diesen Fällen wird das Recht zur Beibehaltung des rechtswidrigen Zustands vom Grundeigentümer - in analoger Anwendung von Art. 662 des Zivilgesetzbuches (ZGB) - "ersessen". Derartige Bauten dürfen die Besitzstandsgarantie ebenfalls beanspruchen (vgl. zum Ganzen: AGVE 2000, S. 255 f.; Entscheid des Verwaltungsgerichts [VGE] III/44 vom 25. April 2001, S. 7).
In einem aktuellen Fall erweiterte ein Bauherr ein ehemaliges Hühnerhaus im Umfang von 5 m Länge und 3 m Breite auf eine neue Länge von insgesamt 8.10 m. Als Kleinbaute, die den Grenzabstand von 2 m unterschreitet, wäre der Bauherr dafür auf die Zustimmung des Nachbars angewiesen gewesen (§ 19 Abs. 2 der Bauverordnung [BauV)]. Mangels Baubewilligung und aufgrund der Verletzung des Grenzabstands handelte es sich klarerweise nicht um eine rechtmässig erstellte Baute. Das kantonale Departement Bau, Verkehr um Umwelt (BVU) als Beschwerdeinstanz qualifizierte das ehemalige Hühnerhaus aber trotzdem als "rechtmässig erstellt" im Sinne von § 68 BauG. Es vermutete nämlich aufgrund von Luftbildaufnahmen von swisstopo (www.swisstopo.admin.ch), dass das Hühnerhaus in seiner Ausdehnung von 8.10 m schon seit über 40 Jahren bestehe und daher besitzstandsgeschützt sei. Die vorgenommene Erweiterung und die Umnutzung in eine Autogarage sei vom Besitzstandsschutz abgedeckt und damit auch ohne Zustimmung des Nachbars zulässig.
Der Entscheid mag stossend erscheinen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Bezug auf nicht bewilligte Bauten, die durch Zeitablauf als "rechtmässig erstellt" im Sinne der Besitzstandsgarantie gelten sollen, darf durchaus hinterfragt werden. Nachvollziehbar ist, dass ein Vertrauensschutz in Bezug auf die ursprünglich erstellte Baute besteht. Es soll der Behörde nicht möglich sein, nach einer über dreissigjährigen Duldung noch die Beseitigung zu verfügen. Dass nicht rechtmässig erstellte Bauten - entgegen dem Wortlaut von § 68 BauG - auch noch erweitert, umgebaut und im Zweck geändert werden dürfen, ist hingegen weniger nachvollziehbar und stellt eine unseres Erachtens nicht immer gerechtfertigte Gleichbehandlung dar. Der Eigentümer einer nicht bewilligungs-fähigen Baute, die er ohne vorgängige Einholung einer Baubewilligung erstellt hat, wird gleich behandelt wie ein Bauherr, der vorschriftsgemäss ein Baugesuch einreicht und alle damals geltenden Vorschriften einhält. Das leuchtet nicht unbedingt ein, denn dem Vertrauensschutz wird schon Rechnung getragen, indem der Bauherr nach Ablauf der dreissig Jahre nicht mehr mit der Anordnung der Beseitigung rechnen muss.
Im Weiteren stellte die Beschwerdeinstanz ihren Entscheid auf Luftbilder ab, zu denen die Parteien des Verfahrens zu keinem Zeitpunkt Stellung nehmen konnten. Das verstösst unserer Ansicht nach gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Dieser verlangt, dass sich sämtliche Parteien zu allen Entscheidgrundlagen vorgängig äussern dürfen. Im konkreten Fall hätte die Vermutung der Beschwerdeinstanz, die aufgrund der Luftbilder von einem umwandeten Gebäude mit einer Länge von 8.10 m ausging, widerlegt werden können. Die Beschwerdeinstanz hatte nebst den im Internet abgerufenen Luftbildern keinen Hinweis darauf, dass der überdachte Unterstand von Wänden umgeben sein könnte. Sie hat das einfach so angenommen. Hätte sie die Parteien angehört, hätte belegt werden können, dass die Umwandung nicht bereits seit 40 Jahren bestand. Die Sachverhaltsermittlung gestützt auf im Internet abrufbare Informationen ist unserer Auffassung nach mit grosser Vorsicht zu geniessen. Zwingend ist jedenfalls, den Parteien zu solchen Sachverhaltsabklärungen, welche eine Behörde als Entscheidgrundlagen beiziehen möchte, die Möglichkeit zur vorgängigen Stellungnahme zu gewähren. Das gilt selbstverständlich unabhängig davon, ob diese Informationen öffentlich zugänglich sind oder nicht.
Fazit: Auch unbewilligte und nicht bewilligungsfähige Gebäude können nach Praxis des Verwaltungsgerichts als "rechtmässig erstellte" Bauten in den Genuss der Besitzstandsgarantie kommen, wenn der Beseitigungsanspruch der Behörden verwirkt ist. Bei Sachverhaltsabklärungen, die als Entscheidgrundlagen einer Behörde dienen sollen, ist unserer Auffassung nach sämtlichen Parteien vor dem Entscheid zwingend das rechtliche Gehör zu gewähren.
Bestellen Private eine Arbeitsleistung oder eine Lieferung, verlangen sie oft Offerten von den anbietenden Unternehmungen. Das gilt auch im öffentlichen Vergabeverfahren. Offerten, die der Ausschreibung nicht entsprechen, können aus dem Verfahren ausgeschlossen werden, namentlich wenn Formvorschriften verletzt sind. Von einem Ausschluss ist jedoch abzusehen, wenn der festgestellte Mangel relativ geringfügig ist und der Zweck, den die aufgestellte Formvorschrift verfolgt, dadurch nicht ernsthaft beeinträchtigt wird. Bei unklaren Offerten muss die Vergabestelle unter Umständen Erläuterungen verlangen. Diese dürfen jedoch nicht zu einer nachträglichen Änderung des Angebots führen. Die Abgrenzung zwischen zulässiger Erläuterung und unzulässiger Änderung ist nicht scharf. Anhand eines aktuellen Falles vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden zeigen wir die Thematik auf.
Wer die Anforderungen der Ausschreibung nicht erfüllt, ist in der Regel vom Verfahren auszuschliessen. Ein Ausschluss kann allerdings unverhältnismässig sein. Liegt beispielsweise ein offensichtlicher Fehler des Anbieters vor, kann die Vergabestelle fehlende Angaben ohne grossen Aufwand selber ergänzen oder hängt die Bewertung des Angebotes überhaupt nicht von den fehlenden Angaben ab, ist ein Ausschluss kaum gerechtfertigt. Die Vergabestelle hat einen grossen Ermessensspielraum, ob sie ein mangelhaftes Angebot ausschliessen oder ob sie fehlende Angaben nachträglich einholen bzw. Unklarheiten durch Rückfragen beseitigen will.
Im Fall vor Verwaltungsgericht Graubünden mussten die Unternehmungen im Angebot in einer Tabelle mit "Ja" oder "Nein" antworten, ob sie gewisse Vorgaben erfüllten. Bei einem "Nein" drohte ein Ausschluss ("Muss-Kriterien"). Eine Unternehmung hatte bei vier Kriterien "Nein" eingetragen und dazu jeweils erklärt, unter welchen Bedingungen die Vorgabe dennoch eingehalten werde. Die Vergabestelle hatte die Anbieterin daraufhin aufgefordert zu erklären, was sie damit meine; sie solle mit "Ja" oder "Nein" antworten. Die Unternehmung reichte ihr Angebot daraufhin mit lauter "Ja" ein, ohne Vorbehalte. Die Vergabestelle schloss die Unternehmung dennoch vom Verfahren aus. Diese beschwerte sich gegen den Ausschluss. Sie machte geltend, mit der Aufforderung zur Präzisierung der Antworten habe die Vergabestelle bei ihr ein Vertrauen geschaffen, welches einen Ausschluss als treuwidrig und unverhältnismässig erscheinen liesse.
Das Verwaltungsgericht schützte den Ausschluss. Es argumentierte, die Unternehmung habe die Muss-Kriterien entweder nicht oder nur unvollständig erfüllt. Denn anstatt mit "Ja" habe sie sinngemäss mit "Nein, aber ..." geantwortet. Die Vergabestelle habe nirgends zugesichert, dass das Nachreichen von Angaben zum Verbleib im Verfahren führe. Ohnehin sei ein Ausschluss bei Nichterfüllung der Muss-Kriterien unvermeidbar. Eine unklare bzw. fehlerhafte Aufforderung der Vergabestelle an eine einzelne Unternehmung, ihr Angebot anzupassen, könne eine nachträgliche Verbesserung einer Offerte nicht zulässig werden lassen. Dem stünden neben dem Grundsatz der Unabänderlichkeit der Offerten auch derjenige der Gleichbehandlung aller Unternehmungen entgegen. Der Ausschluss sei verhältnismässig, denn bei Muss-Kriterien gebe es grundsätzlich keine Zwischenstufen: Das Kriterium sei entweder erfüllt oder nicht erfüllt. Man könne einen Anbieter nur entweder ganz oder gar nicht ausschliessen; "nur ein bisschen ausschliessen" gehe nicht. Wenn Muss-Kriterien verletzt seien, bleibe kein Raum für ein abgestuftes Vorgehen bzw. eine mildere Massnahme (Verwaltungsgericht Graubünden, Urteil U 17 46 vom 29. August 2017).
Der Entscheid ist für die Unternehmung im Ergebnis hart, rechtlich jedoch korrekt. Die Vergabestelle hätte bei Muss-Kriterien, Bagatellen ausgenommen, gar nicht nachfragen sollen. Da der Unternehmung aus der Nachbesserung der Offerte kein Schaden entstanden ist (sie musste nur die Tabelle neu ausfüllen), stand ihrem Interesse am Schutz des Vertrauens das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung (Unabänderlichkeit der Offerten, Gleichbehandlung der Anbieter) entgegen. Letzterem wurde das grössere Gewicht gegeben. Bei Muss-Kriterien muss eine strenge Linie eingehalten werden; andernfalls würde ihre Bedeutung untergraben. Heikler ist die Abgrenzung, wenn beispielsweise ein Betreibungsregisterauszug fehlt und das Fehlen keine Auswirkungen auf das Angebot an sich hat. Dieser und vergleichbare fehlende Nachweise dürfen bei der Unternehmung wohl nachgefordert werden, unter Ansetzung einer kurzen Nachfrist. Ein solches Angebot ist eher nicht auszuschliessen; der Ausschluss könnte als verbotener überspitzter Formalismus aufgefasst werden. Eine generelle, schematische Antwort zum Ausschluss "Ja" oder "Nein" ist allerdings nicht möglich. Es zählt der Einzelfall.
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