Fahrzeuge dürfen nicht auf dem Garagenvorplatz abgestellt werden, sofern die Sichtzone des Nachbarn verletzt und dadurch die Verkehrssicherheit gefährdet wird (Entscheid des Bundesgerichts 1C_414-2015 vom 10. Februar 2016). Die Durchsetzung der Sichtzonen kann mit anderen Interessen kollidieren, wie dem Ortsbildschutz. Hier sind differenzierte Lösungen zu suchen.
Es verboten, sein Fahrzeug auf dem eigenen Hausvorplatz zu parkieren, falls das Fahrzeug die Sicht des Nachbarn bei der Ein- und Ausfahrt aus dessen Grundstück beeinträchtigt und dadurch die Verkehrssicherheit übermässig gefährdet wird. Dies bestätigte das Bundesgericht in einem kürzlich gefällten Entscheid. Ein Anwohner fühlte sich durch einen Anhänger gestört, der auf dem Hausvorplatz des Nachbarn parkiert war; seine Sicht, die sogenannte Sichtzone oder Sichtberme, sei eingeschränkt und er könne bei seiner Ein- und Ausfahrt die Verkehrssituation nicht mehr genügend überblicken. Das Bundesgericht gab ihm Recht: Es räumte ein, zwar werde das Eigentum eingeschränkt, wenn man sein Fahrzeug nicht frei auf seinem Vorplatz abstellen dürfe. Die Verkehrssicherheit gehe aber vor. Daher bestehe in diesem Fall ein Abstellverbot in der Sichtzone.
Der Entscheid ist auch im Kanton Aargau anwendbar. Das aargauische Recht regelt die Sichtzonen im Baugesetz (§ 110 Abs. 3 BauG): Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit kann im Bereich von Einmündungen und Kreuzungen angeordnet werden, dass die anstossenden Grundstücke von sichtbehindernden Bauten, Anlagen, Pflanzen, Einfriedigungen (Zäune und dergleichen) und weiteren Vorrichtungen freizuhalten sind. Die Bauverordnung (§ 42 BauV) präzisiert dies weiter: Wie gross die Sichtzonen sein müssen wird im "Merkblatt Sicht an Knoten und Ausfahrten" vom 1. März 2011 des Departementes Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) geregelt. Dieses ist als Richtlinie anwendbar (so § 42 Abs. 1 BauV). Gemäss dem Merkblatt muss die Sicht bei Einmündungen ab einem Beobachtungsstandort von 2.5m ab Strassenrand in einem "virtuellen Dreieck" nach rechts und nach links frei sein. Die Sichtweite ist abhängig von der zulässigen Fahrgeschwindigkeit: innerorts bei 20km/h auf 15m, bei 30km/h auf 25m und bei 50km/h auf 50m. In diesem Bereich (vgl. Abbildung) dürfen 80cm ab Boden bis in 3m Höhe keine Objekte die Sicht behindern. Zulässig sind einzig einzelne, nicht störende Bäume, Stangen oder Masten (§ 42 Abs. 2 BauV).
Vor Bundesgericht ging es um eine Abwägung zwischen der Verkehrssicherheit einerseits und der freien Nutzung des Eigentums andererseits. Das aargauische Baugesetz schreibt diese Interessenabwägung ausdrücklich vor: Gemäss § 112 BauG kann verlangt werden, dass bestehende Bauten, Anlagen, Einfriedigungen, Bäume und andere Pflanzen, die den Sichtzonen widersprechen, innert angemessener Frist beseitigt oder angepasst werden - sofern dies aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig ist. Das Gesetz verlangt also eine Beurteilung des Einzelfalls. Zu prüfen sind die konkreten Verhältnisse vor Ort, das heisst die Übersichtlichkeit, die zulässige Fahrgeschwindigkeit, die Verkehrsdichte usw. Das Ergebnis wird daher an einer stark befahrenen Kantonsstrasse anders ausfallen als an einer verkehrsberuhigten Quartierstrasse. Bei der Interessenabwägung stehen sich aber nicht nur das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit und das private Interesse des Grundeigentümers gegenüber. Die Verkehrssicherheit muss sich auch gegen andere öffentliche Interessen behaupten, wie den Ortsbildschutz.
Der Ortsbildschutz ist ebenfalls im Baugesetz verankert, also auf gleicher Gesetzesstufe wie die Sichtzonen, und sogar in der Kantonsverfassung (§ 36 Abs. 2 KV). Ortsbilder müssen entsprechend ihrer Bedeutung bewahrt und Siedlungen müssen so gestaltet werden, dass eine gute Gesamtwirkung entsteht (§ 40 Abs. 1 lit. f BauG). Neue Bauten und Anlagen müssen sich gut in die Umgebung einpassen. Dazu gehört auch der Aussenraum. Orts-, Quartier- und Strassenbilder dürfen nicht beeinträchtigt werden (§ 42 Abs. 2 BauG). Die konsequente Durchsetzung der Sichtzonen kann nun aber dazu führen, dass viele Bäume, Gartenzäune oder Hecken in Einfahrten, die ein geschlossenes Strassenbild ergeben, verschwinden, weil sie im "virtuellen Dreieck" stehen, und dadurch der Strassenanschluss der Grundstücke weit eingeschnitten wird. Das Bild der Quartiere würde verändert.
Dieser Interessenkonflikt lässt sich durch die in § 112 BauG vorgeschriebene Abwägung lösen. Beachtet werden muss zudem, dass die Sichtzonen-Anforderungen gemäss dem "Merkblatt Sicht an Knoten und Ausfahrten" nur (aber immerhin) als Richtlinien gelten. Solche Merkblätter sind durchaus zulässig, damit eine einheitliche Praxis besteht. Sie befreien aber im Einzelfall nicht von der Interessenabwägung.
Das bestätigte beispielsweise das Verwaltungsgericht Zürich in einem Fall vor einigen Jahren: Gründe für zulässige Abweichungen von den Sichtzonen seien namentlich ein besonders geringes Verkehrsaufkommen, die Funktion der übergeordneten Strasse als ausschliessliche Zufahrt ohne Durchgangsverkehr sowie die bauliche Ausgestaltung oder Zweckbestimmung der übergeordneten Strasse, die eine langsame Fahrweise nach sich ziehe. Die konkrete Unterschreitung der Sichtweite in einer Richtung sei vorab darauf zurückzuführen, dass die Ausfahrt schmal und die Sichtberme bescheiden gehalten werden, damit die Abgrabung möglichst gering bleibe. Mit einem Spiegel werde die reduzierte Sichtweite kompensiert. Diese Lösung sei aufgrund der örtlichen Verhältnisse ohne weiteres vertretbar. Die Vorschriften betreffend die Sichtzonen oder die Verkehrssicherheit würden deshalb nicht verletzt (Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2006.00506 vom 11. April 2007 E. 5.1 und 5.2). Das Gericht bewilligte die Nichteinhaltung der Sichtzone, obwohl die zulässige Fahrgeschwindigkeit bei 50 km/h lag.
Eine solche Beurteilung im Einzelfall schreibt auch das aargauische Recht vor, insbesondere, da die Vorschriften betreffend die Sichtzonen "nur" auf Stufe Verordnung bzw. in einem Merkblatt mit Richtliniencharakter festgehalten sind. Die Vorschriften betreffend Sichtzonen dürfen daher nicht schematisch und ohne Beachtung des Einzelfalles gegen die privaten Interessen, aber auch gegen andere öffentliche Interessen wie Ortsbildschutz oder Einpassung durchgesetzt werden. Das Gesetz verlangt eine Prüfung im Einzelfall, bei bestehenden Situationen und auch bei neuen.
Qualitätszertifizierungen führen im Submissionsrecht öfters zu Diskussionen. In den öffentlichen Ausschreibungen wird nicht immer klar festgehalten, ob die Anbieter über bestimmte Zertifikate verfügen müssen oder ob mangels Zertifikaten der Nachweis gleichwertiger Qualifikationen zulässig ist. Das schadet dem Verfahren. Der Stellenwert von Zertifikaten sollte in den Unterlagen der Ausschreibung eindeutig festgelegt werden.
Will die öffentliche Hand Einkäufe tätigen, ist sie an das öffentliche Beschaffungsrecht gebunden (auch Submissionsrecht oder Vergaberecht genannt). Sie muss alle Anbieter in allen Phasen gleichbehandeln und darf keinen diskriminieren. Die Behörden (Vergabestellen) müssen die Aufträge deshalb nach bestimmten strengen Regeln erteilen, nicht einfach „nach Gutdünken". Zuerst wird geprüft, ob der betreffende Anbieter für den Auftrag geeignet ist. Danach wird das konkrete Angebot geprüft. Für die Beurteilung der Qualifikation des Anbieters oder des Angebotes werden oft Qualitätszertifizierungen verlangt, mit der Konsequenz, dass die Vergabestellen jenen Anbieter als nicht geeignet beurteilen, der diese Zertifizierungen nicht vorlegen kann, oder sie beurteilen sein Angebot mangels Zertifizierungen als schlechter. Das kann zu Diskussionen führen, wie in einem konkreten Fall aus dem Kanton Wallis, an welchem wir beteiligt waren (Entscheid des Kantonsgerichts Wallis vom 18. Dezember 2015, A1 15 150). Das gibt Gelegenheit, den Stellenwert von Zertifizierungen im Vergabeverfahren kurz festzuhalten:
Aus einer Qualitätszertifizierung lässt sich nicht zwangsläufig ein unmittelbarer Qualitätsvorsprung gegenüber nicht-zertifizierten Unternehmungen ableiten. Die Zertifizierung ist lediglich ein Indiz für Qualität, nicht mehr. Ebenso gut kann beispielswese eine Referenzliste Auskunft über die Qualifikation einer Unternehmung geben. Das bedeutet aber nicht, dass die Vergabestelle nicht auf eine solche Zertifizierung abstellen darf. Letztlich ist es Sache der Vergabestelle, auf welche Weise sie die Qualität eines Anbieters oder eines Angebotes berücksichtigen und beurteilen will. In ihrem Ermessen liegt es grundsätzlich auch, welches Gewicht sie solchen Zertifikaten beimessen will.
Im konkreten Fall sah das Kantonsgericht keine Fehlbeurteilung bei der Einschätzung der Zertifizierungen und wies die Beschwerde ab.
In einem Fall aus dem Kanton Aargau rügte ein unterlegener Anbieter, es sei aus den Submissionsunterlagen nicht ersichtlich gewesen, dass der Bauherr auf einem Zertifikat bestehe. Das Verwaltungsgericht entgegnete ihm, in den Ausschreibungsunterlagen sei das „Qualitätsmanagement-System" als Zuschlagskriterium genannt worden. Es habe den Anbietenden klar sein müssen, dass ein (vorhandenes bzw. nicht vorhandenes) Qualitätsmanagement-System beim Zuschlag mitbewertet werde, dass im Angebot Angaben dazu zu machen und dass die entsprechenden Nachweise (z.B. mittels Zertifikat) hätten erbracht werden müssen. Es schützte daher die schlechtere Bewertung durch die Vergabestelle (Urteil Verwaltungsgericht Aargau WBE.2012.101 vom 23. August 2012, E. 3.3).
Dieses Urteil zeigt beispielhaft auf, dass nicht eindeutige Ausschreibungsunterlagen zu Gerichtsverfahren führen können. Die Ausschreibungsunterlagen sollten daher klar festhalten, ob bestimmte Zertifikate verlangt werden oder ob auch Nachweise gleichwertiger Qualifikationen zulässig sind. Das verschafft den Anbietern Klarheit und erleichtert der Vergabestelle die Auswertung der Angebote - und kann letztlich ein Gerichtsverfahren verhindern.
Im Newsletter Juni 2015 haben wir von der damals laufenden Anhörung zur Teilrevision des kantonalen Baugesetzes berichtet. Mittlerweile hat der Regierungsrat die Gesetzesvorlage überarbeitet und der zuständigen Kommission des Grossen Rates zur Beratung übergeben (Geschäft GR.15.269). Die Kommission Umwelt, Bau, Verkehr, Energie und Raumordnung (UBV) nahm einige wesentliche Änderungen vor. Dr. Lukas Pfisterer arbeitete in der Kommission mit. Der Grosse Rat wird das Geschäft im Mai behandeln.
Die Änderung des Baugesetzes wurde notwendig, weil der Bund das Raumplanungsgesetz RPG änderte. Das RPG verpflichtet die Kantone unter anderem zu einer Mehrwertabgabe auf Land, das neu und dauerhaft einer Bauzone zugewiesen wird und dadurch finanziell „mehr wert“ ist. Der Regierungsrat wollte von diesem Mehrwert 20% abschöpfen. Zudem wollte er den Gemeinden die Freiheit geben, einen höheren Satz zu beschliessen und auch für Auf- und Umzonungen und andere planerische Massnahmen eine Mehrwertabgabe festlegen zu dürfen. Die Kommission Umwelt, Bau, Verkehr, Energie und Raumordnung UBV wollte es anders: Die Gemeinden sollen nur auf Einzonungen und nur bis max. 30 % eine Abgabe erheben dürfen. Das ist verständlich: Heute ist die Verdichtung ein Ziel. Wenn nun eine Abgabe auf Aufzonungen verlangt wird, also beispielsweise wenn eine Zone für 2-geschossige Gebäude neu zu einer Zone für 4-geschossige Gebäude wird, kann dies dazu führen, dass eben gerade nicht überbaut wird, weil dann die Abgabe fällig würde und der Anreiz zur Nutzung der erhöhten Baumöglichkeiten geschmälert würde. Eine Abgabe auf einer Aufzonung ist also ein zweischneidiges Schwert.
Neu soll eine Baupflicht eingeführt werden, verbunden mit einer Frist für die Überbauung der betroffenen Parzelle. Ziel ist, dass Bauland effektiv als Bauland zur Verfügung steht, so genannt „verflüssigt“ wird. Der Regierungsrat wollte als Sanktion bei ungenutztem Ablauf der Frist, dass das Land öffentlich verkauft werden darf. Die UBV stimmte der Pflicht zu, nicht aber der „Verkaufsenteignung“ als Sanktion. Sie wurde ersatzlos gestrichen. Stattdessen soll nach Fristablauf eine finanzielle Abgabe (Lenkungsabgabe) von 2 % des steuerrechtlich massgebenden Grundstückverkehrswerts fällig werden, und zwar jedes Jahr neu, sofern die Baupflicht weiterhin nicht erfüllt wird.
Eine wesentliche Änderung hatte der Regierungsrat bereits aufgrund der Anhörungsvorlage vorgenommen: Es soll Unternehmungen weiterhin möglich sein, über strategische Landreserven zu verfügen. Eine Baupflicht darf nur angeordnet werden, wenn das Grundstück eines Betriebs für dessen voraussichtlichen Eigenbedarf von 15 Jahren nicht benötigt wird.
Mit der Teilrevision des Baugesetzes, wie sie aus der Kommissionberatung hervorgegangen ist, wird dem Kantonsparlament ein Paket vorgelegt, das die Vorgaben des Bundes aus dem RPG erfüllt, und gleichzeitig das Eigentum respektiert. Es ist denkbar, dass das Gesetz so politisch mehrheitsfähig ist. Die Gesetzesvorlage kann auf der Webseite des Grossen Rates, Geschäft 15.269, nachgelesen werden.
Pfisterer Fretz Munz AG
Frey-Herosé-Strasse 25
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